Politiken der Wahrheit
Michael Coghlan
Ausgangspunkt unserer Forschungen zu Politiken der Wahrheit ist die Beobachtung, dass in den Debatten um die sogenannte „post-truth era“ eine Rückbesinnung auf die Wahrheit als Bezugspunkt einer neuen wissenschaftlichen und politischen Ernsthaftigkeit gefordert wird. Dies geschieht zumeist in kritischer Distanznahme zu postmodernen Epistemologien, die den Code von ‚wahr‘ und ‚falsch‘ in relativistische Fragen nach Deutungshoheiten aufgelöst hätten. Unbefragt bleibt dabei, dass sich schon auf der Ebene diskursiver Verhandlungen zeigt, wie verschiedene technisch-mediale Szenarien, beteiligte Personen, kommunikative Praktiken und theoretische Reflexionshorizonte immer wieder eigene Formen dessen hervorbringen, was von einer sozialen Gruppe als Wahrheit in Anspruch genommen oder der Kritik unterworfen wird.
Wahrheit wird in unserem Forschungszusammenhang daher praxeologisch untersucht, im Sinne eines situativ gebundenen doing truth. Damit die unterschiedlichen Formen des Vollzugs von Wahrheit näher beschrieben werden können, arbeiten wir an einem analytischen Vokabular, das sich an der heuristischen Unterscheidung von Wahrheitsszenen, Wahrheitsfiguren und Wahrheitsassemblagen orientiert. Mittels dieser Parameter, so unsere Annahme, lassen sich die Herausbildung, Stabilisierung/Deststabilisierung oder Transformation von Wahrheitskulturen und damit politischer Epistemologien beschreiben.
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Im Dezember 2022 wurde der Projektantrag „Politiken der Wahrheit. Erfurter Forschungsstelle für politische Epistemologien“ bewilligt. Seit März 2023 fördert das Land Thüringen im Rahmen seiner Förderrichtlinie „FTI Thüringen – Forschung“ für zwei Jahre die Etablierung der Forschungsstelle, die von Prof. Dr. Bernhard Kleeberg geleitet wird. Prof. Dr. Ilka Saal ist als stellvertretende Leitung beteiligt, Dr. Antonia Purk und Johanna Hügel sind für die wissenschaftliche Koordination zuständig.